2024 | 12

Worum es in Demokratien wirklich geht

Die neuzeitliche Demokratie wurde entwickelt, nicht um Menschen an der Macht teilhaben zu lassen, sondern um sie von der Macht fernzuhalten. Repräsentation heißt ja nichts anderes, als dass diejenigen, die regiert werden, eben nicht regieren. Kaschiert wird diese Machtlosigkeit durch die Illusion, dass jeder an die Macht kommen könne. Doch jeder war noch nie jeder: immer schon waren Menschen davon ausgeschlossen zu wählen wie gewählt zu werden. Das allgemeine Wahlrecht, dass es auch Frauen ermöglicht, zu wählen, gibt es noch nicht so lange. Und noch immer halten wir sehr viele Menschen vom Wählen ab, in dem wir sie gesellschaftlich ausgrenzen und ihnen das Recht absprechen, sich politisch zu beteiligen, so wie wir es bei Flüchtlingen und Migranten tun.

In der Politik dreht sich alles um Macht, weil wir die Vorstellung haben, Macht sei etwas seltenes, rares: Es gibt die Wenigen, die die Macht haben, über die vielen, die sie nicht haben. Die Bürgerrechtsbewegung hat diese Vorstellung aufgebrochen, als sie erkannt hat, dass diese Machtbeziehung von beiden Seiten aufrecht erhalten wird. In dem Moment, wo die Machtlosen ihre Teilhabe an dem System aufkündigen, wird das Ganze instabil. Die Mächtigen verlieren ihre Machtbasis. Darauf basiert ziviler Widerstand und das Prinzip der Gewaltlosigkeit. Tatsächlich hat dieser Ansatz zu großen Reformen geführt, in manchen Ländern auch zum Sturz von Diktaturen und Regierungen. Unsere demokratischen Gesellschaften aber sind immer noch dominiert von dem Paradigma der Macht als etwas sehr Rares, mit all den Problemen, die diese Vorstellung hervorruft.

Es gibt ein zweites Paradigma, das unsere unsere Gesellschaft dominiert, das Paradigma der Ausgrenzung: wir grenzen Menschen von der politischen Teilhabe aus, wir grenzen genauso auch Themen, Fragen, Herausforderungen aus. Wer mächtig ist, versucht zu definieren, was politisch legitim ist und was nicht, welches Thema relevant ist und welches nicht. Die Polarisierung, von der ich letzte Woche gesprochen habe, lebt davon, dass sie anderen die Legitimation, die Moral abspricht. Da wird eine Position sehr schnell diffamiert, als rechts, als links, als antisemitisch, antidemokratisch, politisch nicht korrekt. Dererlei Etiketten gibt es viele, das Prinzip dahinter ist immer das gleiche: Etwas wird aus dem Diskurs ausgeschlossen.

Alle drei Paradigmen: das Paradigma der Macht, das der Polarisierung und das der Ausgrenzung verstärken sich gegenseitig. Sie führen nicht nur in die politische Situation, in der wir gerade sind. Sie haben einen großen Anteil an der sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeit wie an der Ausbeutung und der Zerstörung der Natur. Sie haben genauso Anteil an der gesellschaftlichen Starre, in der wir uns befinden: Bei allem Aktionismus sind wir nicht in der Lage, unsere Krisen und Herausforderungen zu lösen. Denn diese Paradigmen bringen die Krisen hervor, sie leben von diesen Krisen. Gleichzeitig geben uns alle drei Paradigmen Hinweise, wie wir diese Situation aufbrechen. Dazu nächste Woche mehr.